Viele Leute fragen mich, warum ich denn keinen Partner habe, bzw wie ich es ertragen kann, dass ich meinen augenblicklichen Weggefährten nur einmal im Jahr sehe?
Da ich nicht mehr beziehungssüchtig und co-abhängig bin, ist es schwer jemanden zu treffen, der das auch nicht ist. Unsere Gesellschaft besteht eigentlich nur aus Menschen die beziehungssüchtig und co-abhängig sind. Auch mein jetziger Weggefährte leidet daran und deshalb kann ich ihn kaum mehr ertragen. Die Konsequenz wäre nun, mich von ihm zu trennen, aber da er eh so weit entfernt lebt, kann ich im Moment damit leben. Natürlich gibt es die Dramen, die er am Telefon und whatsapp spielt, wo ich ihm immer wieder erkläre, dass das bei mir nicht mehr zieht und ich bei dem Spiel nicht mehr mitspiele. Aber es ist schwer jemandem, der so in seinem Kopfkino gefangen ist, in die Realität zu bringen. Er behauptet er würde mich lieben, aber was er da liebt, ist eine Vorstellung von mir, die ich nicht bin und wenn ich ihn diesbezüglich aufklären möchte, möchte er davon nichts hören. Die Vorstellung ist so berauschend, dass er sich damit „high“ macht. So ist das übrigens bei allen Beziehungssüchtigen und Co-abhängigen. Deshalb gehen so viele Beziehungen schief, sobald man den anderen Menschen im Alltag erlebt, oder wenn die Energie nachlässt, die Masken aufrecht zu erhalten. Sogar an die Vorstellung vom anderen versuchen sich die meisten so lange es geht zu klammern und schieben die Realität von sich, auch wenn auf der anderen Seite schon längst die Masken gefallen sind. Die Mehrheit hält sich an Illusionen fest, nur um der Wahrheit nicht ins Auge schauen zu müssen. Das kann sogar über Jahre und Jahrzehnte hinweg so gehen.
Es nervt mich ehrlich gesagt, wenn ich ständig etwas erklären muss, was kaum jemand versteht, da alle durch die Beziehungssuchtbrille schauen. Wenn es Singles gibt, dann sind sie immer auf der Suche oder der Freundeskreis versucht sie zu verkuppeln. Deshalb ist es so ungewohnt, wenn man einfach so glücklich ist, weil man sein Glück nicht an etwas oder einem anderen Menschen festmacht.
Ich kann nur immer wieder betonen, dass mein Leben so viel reicher und schöner ist, seit ich diese schreckliche Beziehungssucht und Co-abhängigkeit abgelegt habe. Nein, der Mensch ist nicht dazu gemacht, alleine zu sein, aber wenn fast die gesamte Menschheit krank ist, heißt das nicht, dass man sich an diese Krankheit anschließen muss, nur damit man nicht mehr alleine ist. Als bewusster, ganzheitlich denkender Mensch, bleibt einem in dieser Gesellschaft leider nur das Eremitendasein, der freiwillige Rückzug, sonst hält man es nicht aus. Es ist so, als würde man den Nachbarn sehen, wie er sich Finger und Zehen abhackt und man die Erfahrung macht, wenn man ihn darauf aufmerksam macht, er sauer wird, dass man ihn darauf aufmerksam gemacht hat. So ergeht es mir. Ich sehe zu, wie sich Freunde, Familienmitglieder, Kollegen und Nachbarn verstümmeln, aber mir bleibt nichts anders übrig als zu wählen: entweder hinzusehen, oder wegzusehen. Denn wenn ich hinsehe, muss ich etwas sagen und das ist nicht gewünscht, also sehe ich weg bzw nehme Abstand von den Menschen, da das für mich gesünder ist. Es reicht mir, dass ich bei meiner Arbeit täglich, diesen Wahnsinn mit ansehen muss!
Hier darüber zu schreiben, ist für mich das Ventil, aus dem ich manchmal die Luft raus lassen muss, was ich durch meine Bewusstheit erkenne. Zum Glück gibt es diese Möglichkeit und vielleicht, vielleicht, kann ich so auch anderen den Wahnsinn, den sie leben bewusst machen und zur Selbstheilung anregen?
*Jutta Velten